Blogvorstellung “Ich sehe was du nicht siehst” – Maria und ihr Umgang mit Alopecia
Wieviel Menschen kennt Ihr, die unter Alopecia areata leiden? Ich glaube, die wenigsten Menschen wissen, wenn eine (nahe stehende) Person an dieser Autoimmunerkrankung leidet. Das liegt einfach daran, dass sich betroffene Personen meistens dafür schämen und hier selbst Familie und Freunde nicht einmal Bescheid wissen – geschweige, dann die Öffentlichkeit.
Dabei ist es so wichtig, dass möglichst viele Menschen davon erfahren. Auch für Neu-Betroffene kann diese Offenheit unglaublich wichtig sein. Das ist mitunter auch ein Grund, warum ich hier auf meinem Blog darüber schreibe.
Das Wunderbare ist, dass sich nicht alle Menschen verstecken. Und genau so einen Menschen möchte ich Euch heute hier vorstellen.
Maria schreibt auf Ihrem Blog “Ich sehe was du nicht siehst” ebenfalls über Alopecia areata und ihren ganz persönlichen Umgang damit. Manchmal denke ich, sie geht sogar noch einen Tick freier damit um als ich, was ich ganz wunderbar finde. Ihr humorvoller Blick auf manche Dinge ist einfach toll.
Auch wenn man schon viele Informationen zu Ihrem Krankheitsverlauf, Tips und Tricks zum Perückenkauf und auch Beautyhacks bei Ihr finden kann, gibt es noch die ein oder andere Frage, die mich sehr interessiert. Diese hat mir Maria in einem kleinen Interview beantwortet:
Sandra: Hallo Maria! Vielen lieben Dank dafür, dass Du Dich meiner keinen Fragerunde stellst. Als erstes interessiert mich, warum Dein Blog so heisst, wie er eben heisst. Gibt es hier eine Geschichte dazu?
Maria: Es gibt eine kleine Geschichte dazu. Als ich mich dazu entschied einen Blog ins Leben zu rufen, bestand die erste Hürde darin eine verfügbare Domain, also einen Namen für meinen Blog, zu finden. Dies stellte sich als ungemein schwer heraus, denn viele Seitennamen sind schon vergeben. Ich erinnere mich noch sehr gut. Mein Freund und ich lagen auf dem Bett und grübelten über einen möglichen Namen. Er sollte sinnbildlich für meine Erkrankung Alopecia stehen.
Ich wollte gern ein Wortspiel als Blognamen haben. Hatten wir eine Idee, haben wir sogleich recherchiert, ob die Domain frei ist. Potentielle Kandidaten waren Namen wie Haarlos, schöne Haare, Spiegelbild oder der Schein trügt. Natürlich waren alle schon weg. Mein Bruder ist im Online Marketing tätig und weiß worauf es beim Namen ankommt. Da wir zusammen in einer WG wohnen, ging ich in sein Zimmer und nervte ihn mit meinen Ideen. Er meinte zu mir, dass ich es mir nicht so schwer machen darf.
Manchmal ist es, aus seiner Sicht, ganz gut, wenn der Name des Blogs auf den ersten Blick leicht abstrakt zu dem eigentlichen Inhalt scheint. Erkennt der zweite Blick die Metaphorik, dann ist das ein schöner Oha-Effekt für den Leser. Auch längere Blognamen kommen unter Umständen gut an, meinte er zu mir in dem Gespräch. Aufbauend auf dieser Basis kam ich, gemeinsam mit meinem Freund, auf den Namen “Ich sehe was du nicht siehst” und…Taddaaa…die Domain war verfügbar.
Sandra: Du hast ja innerhalb drei Monaten Deine gesamten Haare verloren. Durch die Sterbebegleitung Deines Vaters hattest Du währenddessen nicht viel Zeit für Dich selbst. Wie waren Deine Gefühle, als sie immer schütterer wurde? Ich stand hier oft vor dem Spiegel und habe geweint. Gab es diese Situation(en) bei Dir auch?
Maria: Als meine Haare sehr schütter wurden und der Punkt einsetzte, an dem ich Mützen tragen musste, fühlte ich mich grauenhaft hässlich. Ich habe mich nur passiv, für die nötigsten Erledigungen wie Zähneputzen, Schminken oder Mütze aufsetzen, im Spiegel betrachtet. Zu der Zeit gab es durchaus auch Momente an denen ich weinte.
Drei Monate ist keine lange Zeit. Meine Haare sind quasi „vom Winde verweht“. Dadurch, dass es so schnell ging und ich parallel sehr intensiv meinen Vater pflegte, schaffte ich es nicht wirklich innerhalb der Haarausfallzeit aktiv zu realisieren, was mit meinem Körper passierte.
Die Auseinandersetzung mit mir und meinen Gefühlen erfolgte erst später. Zudem wollte ich mich zu dem Zeitpunkt damit auch nicht auseinandersetzen. Meine Gedanken waren bei meinem Vater.
Sandra: Dein Bruder hat Dir damals Deine verbleibenden Haare abrasiert. Einen Schritt, den ich bisher nicht über das Herz gebracht habe. Wie ging es Dir die ersten Tage damit? War es schwer oder eher eine Befreiung?
Maria: Tatsächlich war es in meinem Fall eine Befreiung. Mein Bruder hat mir damit, ohne dass wir es zu dem Zeitpunkt realisierten, einen riesen Gefallen getan. Man könnte annehmen, dass der Moment der Rasur für mich sehr schwer gewesen sein wird. Zumal ich selber die Entscheidung nicht treffen konnte, obwohl ich nur noch ein paar jämmerliche Haarsträhnen am Kopf hängen hatte.
Zudem ist es ja auch eine sehr intime Situation. Ganz meinem Wesen entsprechend gestaltete sich jedoch alles recht witzig. Wir hatten ein paar lustige Momente im Bad. Ich bin auch sehr froh, dass es mein Bruder war und nicht irgendein Friseur oder Haarersatzspezialist. Das ist ein Moment den nur mein Bruder und ich teilen und den Gedanken finde ich sehr schön. Zumal wir beide zu der Zeit mit Problemen zu kämpfen hatten, die ich keinem wünsche, war es dann irgendwie doch eine fast schon willkommene Ablenkung.
Sandra: Du bist sogar ein Kalendergirl und mit Deinen Fotos im aktuellen Charitykalender von Alopecia areata Verein für Deutschland zu finden. Ich finde das ja wunderbar. Wie hat Dein Umfeld darauf reagiert? Sind sie stolz? Bist Du stolz?
Maria: Ich bin sehr froh die Entscheidung getroffen zu haben, mich für den Charitykalender „12 Gesichter! 12 Geschichten“ zu bewerben. Ich hätte nie gedacht, dass ich genommen werde. Von daher bin ich sehr stolz darüber, dass ich mich auch wirklich getraut habe professionelle Bilder von mir schießen zu lassen. Das Kalenderbild ist mein erstes offizielles Foto mit Glatze.
Mein Umfeld, egal wie weit ich es auslege, war vollauf begeistert. Alopecia Areata ist in meiner Familie kein unbekanntes Thema. Weit vor meiner Erkrankung mussten ein paar Familienmitglieder schon damit kämpfen. Zum Glück war es bei ihnen nur von relativ kurzer Dauer.
Meine ganze Familie hat daher 2018 einen Kalender mit elf glatzköpfigen Frauen und einem Mann in der Wohnung hängen. Ich habe auch alle vorgewarnt. Ich möchte egal, in welchem Monat ich sie besuchen komme, immer meinen Monat an der Wand hängen sehen. Meine Familie und mein Freundeskreis unterstützen mich hinsichtlich meiner Erkrankung zu 100 Prozent.
Auch mein berufliches Umfeld geht super angenehm mit dem Thema um. Sie waren alle total gespannt auf den Kalender, da die wenigsten mich mit Glatze kennen. Auf Arbeit trage ich eine Perücke. Es ist für meine Kollegen sehr interessant meinen Weg mit der Erkrankung vom Ausbruch an mit zu verfolgen. Sie freuen sich über jede weitere Freiheit die ich mir zurückhole, genauso wie meine Familie und meine Freunde.
Sandra: Für den Moment hast Du Dich dazu entschieden, für längere Zeit auf Deine Haare bzw. Perücke zu verzichten und Tücher, Mützen usw. zu tragen. Gibt es auch Tage, an denen Du ganze ohne Kopfbedeckung unterwegs bist?
Maria: Auf Arbeit trage ich zurzeit noch Perücke. In meinen eigenen vier Wänden bewege ich mich ohne Haare. Zu privaten Unternehmungen ist es so, dass ich mittlerweile je nach Lust und Laune Perücke trage oder nicht.
Ich entscheide auch viel danach, was aus meiner Sicht besser zu meinem Outfit passt. Tage an denen ich ganz ohne Kopfbedeckung unterwegs bin, sind eher selten und natürlich auch sehr stark von der Jahreszeit abhängig. Ich friere super schnell am Kopf und empfinde es als extrem unangenehm, wenn es zieht. Ich binde mir sehr gerne Tücher. Sie sind kreativer und vielfältiger als Mützen und stellen ein tolles Accessoire dar.
Sandra: Wie ist denn der momentane Stand der Dinge bei Dir? Merkst Du, dass die Haare nachwachsen oder kann man von einer Alopecia universalis oder totalis sprechen?
Maria: Mir sind fast alle Haare ausgefallen. Was mir blieb sind ein Teil meiner Wimpern, meine Nasenhaare und ein Teil meiner feinen Gesichtshärchen. Ich habe also Alopecia Universalis.
Seit einem Jahr wachsen mir an einigen Stellen wieder ein paare Haare, beispielsweise meine linke Augenbraue ist zum Teil wieder gewachsen, meine Gesichtshärchen kommen wieder und auch auf meiner Kopfmitte habe ich inzwischen einen kleinen flaumigen Iro.
Die Bein- und Armbehaarung fehlt weiterhin komplett. Ich bin also weit entfernt von einer kompletten Wiederbehaarung meines Körpers und Kopfes. Ich freue mich aber sehr über alles was bis Dato wiedergekommen ist.
Sandra: Vielen lieben Dank für die ausführlichen Antworten. Du bist ein toller und starker Mensch! Ich freue mich darauf, in Zukunft noch viel auf “Ich sehe was Du nicht siehst” von Dir zu lesen.
Wenn Ihr noch mehr von Maria erfahren wollt, dann schaut doch jetzt einfach mal auf ihrem Blog vorbei.
Ich freue mich, dass wir beide in Zukunft gemeinsam an Gastbeiträgen bei der jeweils anderen arbeiten und hoffe, dass wir so möglichst viele Menschen erreichen.
Hauptsache, wir können anderen Betroffenen Mut machen und aufzeigen, dass das Leben auch mit Haarausfall oder ganz ohne Haare einfach wunderbar ist.
Gemeinsam ist man stark :). Danke für das tolle Interview.
Ich wünsche dir ein schönes Wochenende!
Du sagst es liebe Jenny!
Dir ebenfalls ein wunderbares Wochenende und viele liebe Grüße!
[…] Auch Sandra hat mich zu einem Interview zum Thema Alopecia eingeladen. Mehr dazu lest ihr auf Storfi… […]
Tolles Interview! Fantastisch, mit welcher Offenheit das Thema zunehmend angegangen wird, dieser Artikel und der Blog sind ein hervorragendes Beispiel!
Vielen lieben Dank für die positive Rückmeldung.
Ich finde es unglaublich wichtig, damit positiv umzugehen. Und hoffe, dass Maria udn mir noch Viele folgen werden.
Liebe Grüße